Montag, 22. Juli 2013

Ostkurs oder: Der fliegende Holländer


Teil 2 von 2

Wir brachen am kommenden Morgen in aller Ruhe auf. Das Essen ging uns aus, Toast war keines mehr da und so mussten wir die Reste von Chili sin Carne zum Frühstück essen - der nächste Supermarkt war geschätzte 100 km entfernt. Wir zählten den vierten oder fünften Tag ohne Dusche oder frischem Essen und so war der Gedanke an so etwas wie sanitäre Anlagen oder eine Frischetheke im Coles sehr attraktiv für uns alle. Die erste größere Stadt seit Esperance über 2.000 km entfernt
Port Augusta sollte das Ziel des neuen Tages sein, doch bis dahin waren es allerdings noch ein paar Kilometer - auf Gravel.


Das australische Straßennetz ist dank der unvorstellbaren Entfernungen riesig. Laut Internet hat Deutschland zwar doppelt so viele befestigte Straßenkilometer wie Australien (D: 690.000 km, AUS: 345.000 km), dafür aber erheblich mehr unbefestigte Wege. Straßenbau ist wegen der extremen klimatischen Bedingungen in vielen Teilen des Kontinents sehr teuer und aufwendig, weshalb die sogenannten Gravel Roads nichts besonderes sind. Wer mit seinem gemieteten Skoda Fabia von Metropole zu Metropole reist, muss sich natürlich nicht vor Schmutzstraßen fürchten, da die Hauptverbindungen alle asphaltiert sind - doch in vielen Landstrichen kommt man nicht um sie herum.

Je nach Zustand stellen sie auch mit einem normalen Kombi kein Hindernis dar. In der Regel sind die Straßen ähnlich breit wie der Highway; allerdings fallen die Ränder der Straße ab, weshalb man sich auf den spärlich befahrenen Strecken in der Mitte hält. Gegenverkehr sieht man bei anhaltender Trockenheit dank der riesigen Staubfahnen über Kilometer im Voraus - überholen ist dennoch schwierig und gefährlich, da man sich zuerst durch die Staubwolke des Vordermanns kämpfen muss, um danach auf sich aufmerksam zu machen. Riskante Manöver sollten vermieden werden, da der Grip auf den Straßen wegen des losen Kontakts zwischen Reifen und dem groben Schotter nicht allzu gut ist. Das Auto untersteuert, der Druck am Lenkrad ist ein anderer und starkes Bremsen mit einem schweren Auto muss gekonnt sein. Zu den abfallenden Rändern, dem Staub und dem Schotter kommt zusätzlich noch das "Wellblech-Charakteristikum" der Straßen.




Jeder, der schon einmal auf Gravel Roads unterwegs war, kennt es: die gesamte Straße ist über die gesamte Breite von Wellen durchzogen und man fährt praktisch von einem Schlagloch ins andere. Diese Wellen entstehen durch die lose Oberfläche: Wer bremst oder beschleunigt, hat Schlupf an den Rädern und staut Staub und Stein entweder vor den Reifen auf oder katapultiert ihn nach hinten. Die dadurch entstehenden Vertiefungen verstärken sich durch jedes Auto, das dadurch aufschwingt und die nächste Welle formt. Besonders tiefe Gräben gibt es demzufolge in Bereichen, wo viel gebremst oder beschleunigt wird wie z. B. an Kreuzungen oder vor Kurven.

Es gibt drei Möglichkeiten, mit dem Wellblech umzugehen: 

1) man erträgt das Geschüttel und Gerüttel bei der eigens gewählten Geschwindigkeit und wartet, bis man verrückt wird, 2) man fährt Schrittgeschwindigkeit von Welle zu Welle und wartet bis man verrückt wird oder 3) man ist verrückt und "fliegt" über die Gräben hinweg. Das ist letztendlich die gefährlichste, aber einzig praktikable Variante. Jede Straße hat ihre eigene Geschwindigkeit, bei der es nicht mehr knallt und scheppert, sondern nur noch rüttelt und vibriert. Je schneller, desto komfortabler - Remco hatte seine helle Freude als Rallyfahrer und so hatten René und ich in dem über die Wellen bügelnden Subaru unseren eigenen fliegenden Holländer.

The Flying Dutchman

Zugegeben, ein bisschen fühlt es sich schon nach Entwicklungsland an, wenn man mit einem abgerissenen Karren durch eine trockene und karge Landschaft fährt, in der kein Mensch wohnt und nur ab und an ein Landcruiser entgegen kommt. In dieser afrikanisch anmutenden Szenerie hätte ein Pick-Up mit schwarzen Milizen auf der Ladefläche nicht überrascht.





Nach besagter australischen Nacht, die in einen windigen Tag mündete, brachen wir am Morgen auf.


aaaand its gone - es war windig

Auch am vorangegangenen Tag sind wir zwar ausschließlich auf Gravel unterwegs gewesen, doch erst jetzt warteten die großen Distanzen. Anstatt nämlich direkt Richtung Osten zu fahren, wollten wir noch zum Lake Gairdner fahren. In den Touristenkarten lasen wir nirgendwo etwas von "Schwimmen verboten" und nach besagter Dusch-Zwangspause freute ich mich auf ein eventuelles Bad in einem See. Egal wie grün, ich wollte in alles reinspringen...wir fuhren also Richtung Norden und wunderten uns schon, warum die ausgerechneten Kilometer nicht zum erwarteten Landschaftsbild passten. Wir folgten Schildern und Abzweigungen, doch wo war der See?




Da war der See, der einmal ein See war.
 

Wir fanden mit Lake Gairdner einen See wie in den USA - ein echter Salzsee, der sich flimmernd bis zum Horizont erstreckte. Remco war als Erdforscher vollkommen begeistert und überlegte sich noch am Ufer, das Phänomen Lake Gairdner zum Bestandteil seiner Masterarbeit der Uni zu machen. Es war faszinierend - am Ufer war die Salzschicht ein paar Millimeter dick und mit jedem Dutzend Schritte wurde es dicker. Nach einigen hundert Metern waren es schon einige Zentimeter aneinander geklebter Salzkristalle. Überraschend war für mich, dass unter der Salzschicht feuchtes Erdreich zu finden war. Der Grund war übersät von kleinen Kratern, die beim Zertreten wunderbar knirschten. Umringt von Fliegen liefen wir ein gutes Stück auf (oder in?) den See, prüften Geschmack und Löslichkeit des Salzes und waren beeindruckt von so viel Salz auf einem Haufen. Bis heute habe ich keinen passenden Vergleich für diesen Eindruck parat - man steht einfach auf einem See ohne Wasser!






Die Salzschicht in "Ufer"nähe

Salzkrater und -schluchten


Auf dem Rückweg vom See in Richtung Adelaide recherchierte ich etwas in den Info-Magazinen für Touristen und fand schnell heraus, dass in Lake Gairdner schon lange niemand mehr geschwommen ist, dafür aber Geschwindigkeitstests mit einem Raketenauto auf ihm durchgeführt wurden. Und wir hätten diese beeindruckende Station fast verpasst.


Fliegen wie im Red Centre


Während der folgenden Kilometer der Gravel Road begegneten wir nur wenig Fahrzeugen und sahen kaum Schilder. Ich machte mir für den Fall der Fälle so oft es ging Kreuze in die etwas unpräzisen Karten, zumal es nur sehr wenig Orientierungspunkte gab - mal ein Hügel, mal ein Creek, vielleicht eine Abzweigung. Fern von jedem Handyempfang möchte ich gerne wissen, wo ich mich befinde!



Wir alle drei fuhren abwechselnd und hatten Freude an der Gravel Road. Es war allerdings auch anstrengender als der Highway - das Lenkrad musste fester gehalten werden und man durfte nicht unkonzentriert sein. Die Straße verlangt viel Aufmerksamkeit, da immer wieder große Steine herumliegen. Wenn man sie mit knapp 90 km/h überfährt, ist ein Reifenplatzer nicht unwahrscheinlich - in einem alten, voll beladenen Subaru ohne Airbags inmitten des Outbacks sollte man aufpassen, wie man fährt. Ausweichen ist ebenfalls praktisch unmöglich.



Obwohl sich über alles im Auto langsam eine Schicht roten Staubes legte - er hat scheinbar ein paar Löcher - war unser Subaru für die Gravel Roads gut geeignet. Nach ein, zwei Stunden mit pausenlosem Gerüttel und Geschüttel hatte ich langsam genug von der Straße, die Schlafen und Lesen schwer machte. Als wir dann endlich wieder bei Iron Knob auf den asphaltierten, befahrenen Highway stießen, war auf einmal alles so wunderbar ruhig - wie wenn ein Flugzeug den Motor ausmacht. Der Wagen glitt praktisch die Straße entlang...okay, er zieht seitdem etwas nach links, weshalb man das Lenkrad nicht mehr loslassen darf und die Stoßdämpfer schlagen direkt durch - aber wen interessiert das schon? Uns war es egal.


Natur pur!

Es war ein sehr gutes Gefühl, den Schlenker der Gawler Range in die Karte einzuzeichnen. Den Weg aus dem Nirgendwo im Rückspiegel schüttelte ich zwar innerlich den Kopf über diese eigentlich verrückte und unvernünftige Idee, gleichzeitig dachte ich aber an Rule No. 3 "Why not?" und wusste, dass wir wieder alles richtig gemacht hatten.

Am Nachmittag trafen wir in Port Augusta ein und fuhren direkt zur Bibliothek, um zuhause Meldung zu geben. Übers Internet fanden wir einen kostenlosen Campingspot 20 km außerhalb der Stadt, der sich als Glücksgriff erwies. Nach einer Woche Nullarbor und Gawler war ich froh um städtisches, zivilisiertes Gebiet mit Supermärkten, Toiletten und Tankstellen in Reichweite. Diese Tage waren zudem die letzten in Einsamkeit - unsere Route nach Melbourne wird uns durch für australische Verhältnisse eng besiedeltes Gebiet führen.


Dafür kommt man in die Zivilisation zurück!

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