Donnerstag, 30. Mai 2013

Wo schlafen wir? - Ankunft in Esperance


Die fünfhundert Kilometer von unserer Cosy Corner zum letzten Coles vor der Nullarbor fuhren wir an einem Vormittag, nachdem wir die Nacht an einem Highway-Campingplatz verbracht haben. Je weiter wir uns von Küste und wärmenden Meer entfernten, desto kälter wurden die Nächte – der einziehende Herbst zeigte sein Gesicht nicht nur mit wolkenverhangen-regnerischen Tagen, sondern auch in vollkommen unaustralischen, deutschen Temperaturen.

Bei unserem vorangegangenen Stopp wurde uns das Umland von Esperance und besonders der Nationalpark Le Grand mit Lucky Bay empfohlen, weshalb wir nicht nur das Einkaufen gigantischer Essensreserven, sondern auch einen ganztägigen Ausflug in den Nationalpark planten. Wir rechneten also mit mindestens zwei Nächten in Esperance.


Wie in jeder größeren Stadt fuhren wir auch hier direkt zum Vistor Centre. Der aufmerksame und durchhaltende Blogleser erinnert sich an die selbe Vorgehensweise während der Wohnmobilreise an der Ostküste, wo wir ebenfalls zur ersten Orientierung in der Gegend sowie für kostenloses Kartenmaterial und den persönlichen Tipps zu den stets freundlichen Angestellten fuhren. Öffentliche Duschen, BBQs oder freie Campingplätze sind mit Google Maps schwer zu finden, zumal „Offline-Karten“ aus Papier in den meist netzlosen Gebieten zur Navigation unersetzlich waren. Und außerdem gibt es in den Visitor Centre immer saubere und kostenlose Toiletten.

Remco hat mit seinen 23 Jahren gegenüber Rene (fast 21) und mir einen erheblichen Reisevorsprung was Europa angeht. Er ist mit seinen Freunden bereits früh von Holland aus zu Hitchhike-Trips z. B. nach Paris gestartet. In Europa, wo Essen und Trinken günstig, Fortkommen und Schlafen aber teuer ist, lässt sich monatelanges konventionelles Reisen kaum finanzieren – es sei denn, man greift sich mutig ein Herz und verlässt sich auf sein Glück und die Freundlichkeit anderer Menschen. Genau das hat Remco getan: er trampte meist von A nach B und schlief in Wohnungen anderer Menschen.

Das Trampen in Europa, so sagt er, sei sogar noch leichter, schneller und angenehmer als in Australien. Man müsse nicht so lange warten und die Leute sind hilfsbereiter. Das überraschte mich, da ich es auf diesem Kontinent so einfach hatte und es mir zuhause nur schwer vorstellen konnte. Auf jeden Fall, sagte ich mir, möchte ich es auch einmal ausprobieren – vielleicht ist australisches Trampen ja gar nicht das non plus ultra. Remco hat oft bei seinen Lifts übernachten dürfen und wenn nicht, suchte er buchstäblich nach freien Sofas der Umgebung. Die Ausgangsbasis hierfür ist Couchsurfing.

www.couchsurfing.org ist eine kostenlose Website von und für Reisende, über die man als angemeldeter Nutzer von einer Couch zur nächsten surfen kann. Das komplett kostenlose Konzept der Seite basiert auf einem Geben und Nehmen: du bietest deine Couch der Community an und schläfst dafür bei Couchsurfern auf der ganzen Welt. Es versteht sich untereinander, kein Geld zu verlangen und so ist es möglich, auch ohne Kreditkarte herumzukommen. Der meiner Meinung nach beste Grund für einen Couchsurfing-Account ist  jedoch nicht der finanzielle Aspekt, sondern der kulturelle Austausch – es gibt wohl keinen besser leitenden Draht zu Mensch und Kultur des Landes oder der Stadt als durch ein solches „Hitchhiking für Betten“. Man nimmt am echten Leben eines Locals teil und findet, wenn man Glück hat, neue Freunde. So hat auch das Hosten und zur-Verfügung-Stellen der eigenen Couch seinen Reiz.

So wie man sich selber seinen Host, also Gastgeber, aussuchen kann, hat er die Freiheit, deine Couch-Anfrage abzulehnen. Es ist also von Vorteil, sich offen und vertrauenswürdig zu präsentieren, um die besten Chancen auf eine positive Antwort zu haben. Obwohl Remco durch seine Reisen in Deutschland, Frankreich oder Italien ein vollständiges und sogar verifiziertes Profil mit einigen Rezensionen hat, waren unsere Couchsurfing-Bemühungen für die Städte entlang der Route inklusive Esperance leider vergeblich und wir mussten doch ganz normal im Nirgendwo schlafen – so stadtnah wie möglich.

Wir bekamen im Visitor Centre die enttäuschende Information, dass die nächste kostenlose und legale Möglichkeit zum Campen erst hundert Kilometer weiter am Highway wäre. Das ist zu weit zum täglichen Hin- und Herfahren und so waren wir nach all den Absagen im Couchsurfing schon enttäuscht, weiterfahren zu müssen. Da wir noch immer in WA waren, war wildcamping keine Option.

Unser Esszimmer
Wie so oft: Pancakes
Wir entschieden uns, vor der nun zwangsläufig vorgezogenen Abfahrt Richtung Nullarbor noch einmal in der Bücherei vorbei zu sehen, um uns für die kommenden Tage digital abzumelden. Nach den jüngst passierten Anschlägen während des Marathons in Boston war ich etwas besorgt über durchdrehende Amerikaner, die in jedem Touristen ein islamisches Sicherheitsrisiko sehen und deshalb die Grenzen dicht machen – meine Flüge aus Australien über die USA waren gebucht, bestätigt und bezahlt; ein Visum hatte ich aber noch nicht. So war ich sehr erleichtert, als ich nach mehrfachem Bestätigen, kein Nazi zu sein (werden nur Deutsche das gefragt?),  eine bestätigte Visumsnummer hatte. Da mein iPhone das einzige taugliche Gerät zum Mailen und Surfen ist, waren auch Remco und René froh um große Computerbildschirme.

Seit der Begegnung mit dem Ranger am Anfang unserer Tour versuchten wir bei jedem längeren Gespräch mit locals unsere Schlafproblematik zu thematisieren, um unter Umständen in deren Garten unsere Zelte aufschlagen zu dürfen. Wir brauchen wirklich nicht viel, denn uns würden ein paar Quadratmeter reichen; nicht einmal eine Toilette ist nötig, da wir die öffentlichen Facilities nutzen könnten.
Natürlich haben wir uns deshalb auch mit den Bibliothekarinnen über das Wildcampen und die Probleme einen legalen Zeltplatz zu finden gesprochen – einen Versuch ist es wert und wir hätten wirklich  gerne ein paar Tage hier verbracht. Eigentlich hoffnungslos begegneten der berühmten australischen Gastfreundschaft: Kat, eine junge Frau Mitte zwanzig, rief bei ihren Eltern an und fragte, ob es in Ordnung wäre, wenn sie ein paar Backpacker mit Auto und Zelt mitbringen könne. Sie wohnt vorübergehend selber im Haus ihrer Eltern, das ein paar Kilometer außerhalb Esperance liegt und wusste, dass sie gute Gastgeber waren. Ohne Zögern bekam sie eine Zusage und wir fuhren ihr nach Feierabend zum Grundstück hinterher – glücklich, doch nicht weiterfahren zu müssen.

Unsere Erwartung von einer simplen Rasenfläche im Hintergarten wurde bei weitem übertroffen: wir durften in ein voll ausgerüstetes Gästehaus ziehen. Mit verschiedenen Zimmern, einem Bad mit heißem Wasser und kompletter Küche! Die Einrichtung war zwar weder zeitgemäß noch solide, doch haben wir uns wirklich über jedes Detail gefreut, das uns ein komfortables Leben garantierte. Es war viel mehr als erwartet und nötig, weshalb wir unser Glück kaum fassen konnten…vier Wände, einen Gasherd, Strom, warmes fließendes Wasser und das alles kostenlos von Leuten, die man gar nicht kennt –
das ist schwer zu glauben. Nach den nassen und kalten Nächten waren wir Kats freundlichen Eltern noch dankbarer.

Wir durften das Gästehaus zudem auf unbestimmte Zeit beziehen und wir waren uns sofort einig, diesen Komfort und die bedingungslose Gastfreundschaft länger als nur eine Nacht in Anspruch zu nehmen. So konnten wir uns dem Umland ohne Zeitdruck und Packarbeit widmen, noch dazu geduscht und ausgeschlafen. Die Zeit drängte noch nicht und wer einen solchen Jackpot nicht ausnutzt, ist selber Schuld! Wer hat schon so viel Glück? Ich denke: vielleicht liegt es an der Nähe zu Lucky Bay, vielleicht aber auch daran, dass ein Max immer Glück hat.

Karten spielen - am Tisch, im Warmen


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