Die fünfhundert Kilometer von unserer Cosy Corner zum
letzten Coles vor der Nullarbor fuhren wir an einem Vormittag, nachdem wir die
Nacht an einem Highway-Campingplatz verbracht haben. Je weiter wir uns von Küste
und wärmenden Meer entfernten, desto kälter wurden die Nächte – der einziehende
Herbst zeigte sein Gesicht nicht nur mit wolkenverhangen-regnerischen Tagen,
sondern auch in vollkommen unaustralischen, deutschen Temperaturen.
Bei unserem vorangegangenen Stopp wurde uns das Umland von
Esperance und besonders der Nationalpark Le Grand mit Lucky Bay empfohlen,
weshalb wir nicht nur das Einkaufen gigantischer Essensreserven, sondern auch
einen ganztägigen Ausflug in den Nationalpark planten. Wir rechneten also mit
mindestens zwei Nächten in Esperance.
Wie in jeder größeren Stadt fuhren wir auch hier direkt zum
Vistor Centre. Der aufmerksame und durchhaltende Blogleser erinnert sich an die
selbe Vorgehensweise während der Wohnmobilreise an der Ostküste, wo wir
ebenfalls zur ersten Orientierung in der Gegend sowie für kostenloses
Kartenmaterial und den persönlichen Tipps zu den stets freundlichen
Angestellten fuhren. Öffentliche Duschen, BBQs oder freie Campingplätze sind
mit Google Maps schwer zu finden, zumal „Offline-Karten“ aus Papier in den
meist netzlosen Gebieten zur Navigation unersetzlich waren. Und außerdem gibt
es in den Visitor Centre immer saubere und kostenlose Toiletten.
Remco hat mit seinen 23 Jahren gegenüber Rene (fast 21) und
mir einen erheblichen Reisevorsprung was Europa angeht. Er ist mit seinen
Freunden bereits früh von Holland aus zu Hitchhike-Trips z. B. nach Paris gestartet.
In Europa, wo Essen und Trinken günstig, Fortkommen und Schlafen aber teuer
ist, lässt sich monatelanges konventionelles Reisen kaum finanzieren – es sei
denn, man greift sich mutig ein Herz und verlässt sich auf sein Glück und die
Freundlichkeit anderer Menschen. Genau das hat Remco getan: er trampte meist
von A nach B und schlief in Wohnungen anderer Menschen.
Das Trampen in Europa, so sagt er, sei sogar noch leichter,
schneller und angenehmer als in Australien. Man müsse nicht so lange warten und
die Leute sind hilfsbereiter. Das überraschte mich, da ich es auf diesem
Kontinent so einfach hatte und es mir zuhause nur schwer vorstellen konnte. Auf
jeden Fall, sagte ich mir, möchte ich es auch einmal ausprobieren – vielleicht
ist australisches Trampen ja gar nicht das non plus ultra. Remco hat oft bei
seinen Lifts übernachten dürfen und wenn nicht, suchte er buchstäblich nach
freien Sofas der Umgebung. Die Ausgangsbasis hierfür ist Couchsurfing.
www.couchsurfing.org
ist eine kostenlose Website von und für Reisende, über die man als angemeldeter
Nutzer von einer Couch zur nächsten surfen kann. Das komplett kostenlose Konzept
der Seite basiert auf einem Geben und Nehmen: du bietest deine Couch der
Community an und schläfst dafür bei Couchsurfern auf der ganzen Welt. Es
versteht sich untereinander, kein Geld zu verlangen und so ist es möglich, auch
ohne Kreditkarte herumzukommen. Der meiner Meinung nach beste Grund für einen
Couchsurfing-Account ist jedoch nicht der
finanzielle Aspekt, sondern der kulturelle Austausch – es gibt wohl keinen
besser leitenden Draht zu Mensch und Kultur des Landes oder der Stadt als durch
ein solches „Hitchhiking für Betten“. Man nimmt am echten Leben eines Locals
teil und findet, wenn man Glück hat, neue Freunde. So hat auch das Hosten und
zur-Verfügung-Stellen der eigenen Couch seinen Reiz.
So wie man sich selber seinen Host, also Gastgeber,
aussuchen kann, hat er die Freiheit, deine Couch-Anfrage abzulehnen. Es ist
also von Vorteil, sich offen und vertrauenswürdig zu präsentieren, um die
besten Chancen auf eine positive Antwort zu haben. Obwohl Remco durch seine
Reisen in Deutschland, Frankreich oder Italien ein vollständiges und sogar verifiziertes
Profil mit einigen Rezensionen hat, waren unsere Couchsurfing-Bemühungen für
die Städte entlang der Route inklusive Esperance leider vergeblich und wir
mussten doch ganz normal im Nirgendwo schlafen – so stadtnah wie möglich.
Wir bekamen im Visitor Centre die enttäuschende Information,
dass die nächste kostenlose und legale Möglichkeit zum Campen erst hundert
Kilometer weiter am Highway wäre. Das ist zu weit zum täglichen Hin- und
Herfahren und so waren wir nach all den Absagen im Couchsurfing schon
enttäuscht, weiterfahren zu müssen. Da wir noch immer in WA waren, war
wildcamping keine Option.
Unser Esszimmer |
Wie so oft: Pancakes |
Wir entschieden uns, vor der nun zwangsläufig vorgezogenen
Abfahrt Richtung Nullarbor noch einmal in der Bücherei vorbei zu sehen, um uns
für die kommenden Tage digital abzumelden. Nach den jüngst passierten
Anschlägen während des Marathons in Boston war ich etwas besorgt über
durchdrehende Amerikaner, die in jedem Touristen ein islamisches
Sicherheitsrisiko sehen und deshalb die Grenzen dicht machen – meine Flüge aus
Australien über die USA waren gebucht, bestätigt und bezahlt; ein Visum hatte
ich aber noch nicht. So war ich sehr erleichtert, als ich nach mehrfachem
Bestätigen, kein Nazi zu sein (werden nur Deutsche das gefragt?), eine bestätigte Visumsnummer hatte. Da mein
iPhone das einzige taugliche Gerät zum Mailen und Surfen ist, waren auch Remco
und René froh um große Computerbildschirme.
Seit der Begegnung mit dem Ranger am Anfang unserer Tour versuchten
wir bei jedem längeren Gespräch mit locals unsere Schlafproblematik zu
thematisieren, um unter Umständen in deren Garten unsere Zelte aufschlagen zu dürfen.
Wir brauchen wirklich nicht viel, denn uns würden ein paar Quadratmeter reichen;
nicht einmal eine Toilette ist nötig, da wir die öffentlichen Facilities nutzen
könnten.
Natürlich haben wir uns deshalb auch mit den Bibliothekarinnen
über das Wildcampen und die Probleme einen legalen Zeltplatz zu finden
gesprochen – einen Versuch ist es wert und wir hätten wirklich gerne ein paar Tage hier verbracht.
Eigentlich hoffnungslos begegneten der berühmten australischen Gastfreundschaft:
Kat, eine junge Frau Mitte zwanzig, rief bei ihren Eltern an und fragte, ob es
in Ordnung wäre, wenn sie ein paar Backpacker mit Auto und Zelt mitbringen
könne. Sie wohnt vorübergehend selber im Haus ihrer Eltern, das ein paar Kilometer
außerhalb Esperance liegt und wusste, dass sie gute Gastgeber waren. Ohne
Zögern bekam sie eine Zusage und wir fuhren ihr nach Feierabend zum Grundstück
hinterher – glücklich, doch nicht weiterfahren zu müssen.
Unsere Erwartung von einer simplen Rasenfläche im
Hintergarten wurde bei weitem übertroffen: wir durften in ein voll ausgerüstetes
Gästehaus ziehen. Mit verschiedenen Zimmern, einem Bad mit heißem Wasser und kompletter
Küche! Die Einrichtung war zwar weder zeitgemäß noch solide, doch haben wir uns
wirklich über jedes Detail gefreut, das uns ein komfortables Leben garantierte.
Es war viel mehr als erwartet und nötig, weshalb wir unser Glück kaum fassen
konnten…vier Wände, einen Gasherd, Strom, warmes fließendes Wasser und das
alles kostenlos von Leuten, die man gar nicht kennt –
Wir durften das Gästehaus zudem auf unbestimmte Zeit
beziehen und wir waren uns sofort einig, diesen Komfort und die bedingungslose
Gastfreundschaft länger als nur eine Nacht in Anspruch zu nehmen. So konnten
wir uns dem Umland ohne Zeitdruck und Packarbeit widmen, noch dazu geduscht und
ausgeschlafen. Die Zeit drängte noch nicht und wer einen solchen Jackpot nicht
ausnutzt, ist selber Schuld! Wer hat schon so viel Glück? Ich denke: vielleicht
liegt es an der Nähe zu Lucky Bay, vielleicht aber auch daran, dass ein Max
immer Glück hat.
Karten spielen - am Tisch, im Warmen |
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